Die Suche nach völlig neuen therapeutischen Möglichkeiten zur Behandlung der NF2 war Anlass eines Treffens der Arbeitsgruppe Morrison am Leibniz Institut Jena (Helen Morrison, Lars-Björn Riecken, Michael Reuter), dem Vorstand der Forschungsabteilung der Werner-Wicker-Kliniken Bad Wildungen (Georg Brunner, Thomas Meiners), dem Leiter des NF-Zentrums am Helios Klinikum Erfurt (Steffen Rosahl) und potentiellen Sponsoren mit der Chefin der Onkologie-Forschungsbranche der Firma Curevac (Ulrike Gnad-Vogt) im Frankfurter „Squaire“ am 22.04.2022. Vertrauliche Details der Gespräche können wir natürlich nicht veröffentlichen, aber der wissenschaftliche, interdisziplinäre Austausch hat außerhalb der Vertraulichkeitsvereinbarung sehr wichtige Ansätze für das Engagement der Merlin-Stiftung gezeigt.
Ausgangspunkt war die Idee, die im Rahmen der Impfstoffproduktion vorangetriebene neue mRNA-Technologie zur Behandlung von Krebserkrankungen zu nutzen. Wenn man Körperzellen so programmieren kann, dass sie das Spike-Protein des SARS-COV2-Virus herstellen können, kann man dann nicht auch die Produktion von Merlin, dem bei NF2 fehlenden Protein in den Körperzellen durch von außen über Liposomen zugeführte mRNA wiederaufleben lassen?
Leider steckt auch hier der „Teufel im Detail“: selbst, wenn das gelänge, dann ist es bisher z.B. kaum möglich, die Menge des produzierten Merlins zu kontrollieren. Ein Zuviel an Merlin wiederum könnte im Körper katastrophale Folgen haben.
Besser könnte es funktionieren, wenn man das Immunsystem gegen die Tumorzellen (z.B. in Schwannomen, Meningeomen und Ependymomen) „aufbringt“, wieder ganz ähnlich, wie bei der Impfung gegen Covid.
Dazu brauchte man aber zunächst ein klares Ziel für diesen „Immunsturm“, die Antikörper und Immunzellen müssten also wissen, gegen welche Zellen sie kämpfen sollen. Dazu müssen in der Forschung äußerliche Merkmale oder „Marker“ an den kranken Zellen finden oder den Tumorzellen solche Marker „einsetzen“.
Um so etwas zu schaffen, braucht es eben diese enge Kooperation zwischen Klinik und Forschung, zum Beispiel zur Lieferung menschlicher Tumorzellen, welche mit den neuesten Analysemethoden im Labor untersucht werden können (Tumorbank). Aus einer Datenbank (Registry; Anna McLean, Helios Erfurt), in der viele andere Informationen gespeichert sind, wie z.B. die Wachstumsgeschwindigkeit des entfernten Tumors, können dann auch individuelle Profile erstellt werden oder Tumorgruppen mit gleichen Eigenschaften erforscht werden.
Außerdem könnten NF2-Mausmodelle mit menschlichen Tumoren „bepflanzt“ werden (humanisiertes Tiermodell). Daran könnte man verschiedene Substanzen testen, die das Tumorwachstum stoppen und Regeneration der Nerven fördern sollen.
Da Veränderungen (Genetik, Proteom, Stoffwechsel), wie sie in NF2-Tumoren geschehen, auch in vielen anderen menschlichen Tumoren eine Rolle spielen, bleibt der Nutzen dieser Forschung wahrscheinlich nicht auf die Neurofibromatose beschränkt. Dadurch wiederum öffnen sich Türen in Pharmaindustrie und Politik…
Tumorbank und Registry sind daher aktuell die bedeutsamsten Instrumente für den Kampf gegen die Erkrankung. Beides wird die MERLIN FOUNDATION unterstützen. Vorrangig ist hier die Schaffung einer Stelle einer klinischen KoordinatorIN, welche den Aufbau der Datenbanken unterstützt, aber gleichzeitig den Kontakt zwischen den beteiligten Arbeitsgruppen forciert. Zusätzlich werden Doktoranden in diesem Projekt eine wissenschaftliche Heimat finden.
Dieses Projekt hat einen thüringischen Nukleus, wird aber mit weiteren Arbeitsgruppen in Hamburg, Tübingen, Berlin und Würzburg zunächst deutschlandweit, später hoffentlich europaweit ausgerollt werden.
Dazu wird ein weiteres Bindeglied aktiviert, welches gleiche Ziele auf dem Gebiet der NF2-Therapie bis hin zu einer Heilung sucht: der europäischen Branche der US-basierten Childrens Tumor Foundation. Ein Treffen mit der Europa-Beauftragten dieser starken Fördervereinigung wird bereits innerhalb der nächsten 3 Monate stattfinden. Ziel wird es sein, Synergien zu schaffen und einen europäischen Forschungsverbund zu schaffen.
In Vorbereitung befindet sich auch ein Sonderheft der Zeitschrift Life (https://www.mdpi.com/journal/life) mit dem provokanten, zukunftsweisenden Titel „Neurofibromatosis: Prevention – Alleviation – Cure“ (Editor: Steffen Rosahl).
Im Rahmen eines weiteren multizentrischen Projektes ist es der psychologischen Fakultät der Universität Gießen (Anna Freier, Johannes Kruse; https://www.ukgm.de/ugm_2/deu/ugi_pso/index.html) gelungen, wesentliche psychologische Faktoren bei der Krankheitsbewältigung (z.B. individuelle Resilienz) und deren Korrelation zur Krankheitsschwere bei NF2 aufzudecken. Diese Ergebnisse befinden sich aktuell in der Aufarbeitung für die Publikation in wissenschaftlichen Zeitschriften, sie haben uns aber bereits jetzt signalisiert, dass die Behandler wesentlich mehr in diesen Bereich investieren müssen, wenn sie die Lebensqualität der Patienten verbessern wollen.
Schließlich ist da noch das Erfurter „Baby“: die Untersuchung des Einflusses von Ernährung und körperliche Aktivität auf das Wachstumsverhalten von Tumoren, auf neuronale Regeneration und auf die Lebensqualität. Vanessa Stork von der Universität Erfurt hat hier im Rahmen Ihrer Masterarbeit zum Gesundheitsverhalten und zur Nutzung von Smartphone, Internet und Gesundheits-Apps von NF2-Patienten einige Grundlagen geschaffen. Wenn es gelingt, Nahrungsbestandteile zu identifizieren, welche Tumorwachstum fördern oder hemmen, könnte man möglicherweise Nebenwirkungen toxische Medikamente umgehen und auf natürliche Weise öffentliche Gesundheitsförderung auf diesem Gebiet betreiben (Public-Health-Thema).
Um die aktuellen diagnostischen und therapeutischen Bemühungen in den Kliniken effizienter zu gestalten und die deutschlandweite Kooperation mit den niedergelassenen ÄrztInnen zu verbessern, haben wir in den vergangenen Monaten mit den Vorständen der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) und des gemeinsamen Bundesausschusses (gBV) kommuniziert und einen aufwändigen Antrag auf Aufnahme der NF2 in die Liste der für die ambulante spezialärztliche Versorgung (ASV) zugelassenen Erkrankungen erstellt (Denise Löschner, Helios Erfurt). Dieser Antrag liegt dem gBA seit einem Monat vor.
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